Yulia Lukito

Yulia Lukito

Abstract Lukito

Moderne und vernakuläre Architektur Indonesiens als Gegenstand von Ausstellungen:

Hybride Architektur in Pasar Gambir von Batavia, auf der Pariser Kolonialausstellung von 1931 und

im Park Taman Mini Indonesia Indah

 

Im frühen 17. Jahrhundert erlangte die niederländische Ostindien-Kompanie die Vormachtstellung auf dem Archipel mit den Hauptinseln Sumatra, Java, Borneo und Sulawesi. Im Jahr 1800 übernahm die niederländische Regierung die Verwaltung des gesamten Territoriums, welches als Kolonie organisiert und zum bedeutenden Stützpunkt weltumspannender Handelbeziehungen ausgebaut wurde. Zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts vermehrten sich in Niederländisch-Indien, insbesondere in Jakarta, dem ehemaligen Hauptsitz der Kompanie, Anzeichen eines gesellschaftlichen und kulturellen Wandels. Hierzu zählen neben der Verbreitung neuer Technologien, der Entstehung einer Konsumgesellschaft und der Expansion der Mittelschicht auch eine neue Kategorie baulicher Artefakte.

 

Bis zum Beginn der 1920er-Jahre entwickelten sich die Bauprojekte der Kolonialmacht völlig unabhängig von den zahlreichen, lokal sehr unterschiedlichen Bautraditionen des weitläufigen Archipels. In der letzten Phase der niederländischen Kolonialherrschaft kommt es allerdings zu einer Neubewertung regionaler, architektonischer Vermächtnisse und Traditionen. Im Rahmen zweier bedeutender Kolonialausstellungen werden zum ersten Mal sakrale und profane Bauformen des indonesischen Archipels erfasst und inventarisiert. Die temporären Ausstellungsbauten zitieren dieses lokale Bauwissen. Sie sind allesamt eklektische Rekonfigurationen, die aus stilistischen Elementen unterschiedlichster Provenienz hervorgehen.

 

Architektur im Rahmen moderner Kolonialausstellungen, so die These der vorliegenden Dissertation, ermöglicht den Besuchern, verschiedene soziale und kulturelle Verhaltensmuster zu erproben und die Ausstellungen in Relation zu ihren eigenen Modernitätsvorstellungen wahrzunehmen. Darüber hinaus sind die Kolonialausstellungen ein politisches Medium im Verlauf des Weges Indonesiens zur Unabhängigkeit. Die hierfür relevanten baulichen Artefakte sind hybride Gebilde. Ihr komplexes Formenspiel, ihre konstruktiven Beschaffenheiten, ihre Nutzungsweisen und ihre Rezeptionsgeschichten können als Teil eines Kommunikations- und Verhandlungsprozesses gedeutet werden. In einem zu Zwecken des Austausches vorgesehen Rahmen wird ausgestellte Architektur zum Bestandteil des nation buildings. Mittels der Konzeption, der Errichtung und Nutzung hybrider Architekturen wird es möglich, das Verhältnis von Kolonialmacht und Kolonie neu zu bestimmen.

 

Ausgangspunkt und erstes sinnfälliges Zeichen dieser Entwicklung ist die sehr populäre Ausstellung Pasar Gambir, die in den 1920er und 1930er-Jahren jährlich in Batavia stattfand. Der räumlich und zeitlich klar begrenzte Rahmen der Ausstellungen gleicht einem gesellschaftlichen Labor der Moderne, in dem die Besucher die Gelegenheit erhielten, neue Formen der sozialen Interaktion zu erproben. Als Objekte der Vermittlung verwiesen die hybriden Ausstellungsbauten auf unterschiedliche vernakuläre Traditionen und wurden durch die Ausstattung mit Werbetafeln und Beleuchtungsanlagen zu Vorboten einer fortschreitenden Modernisierung der niederländischen Kolonie.

 

Im Anschluss an die baulichen Experimente der Jahresausstellungen von Pasar Gambir wird im Rahmen der Dissertationsschrift die Exposition coloniale einer eingehenden Analyse unterzogen, die 1931 im Pariser Bois de Vincennes stattfand. Der niederländische Pavillon auf der internationalen Kolonialausstellung ist nicht nur von imposanter Erscheinung. Der temporäre Bau begründete auch eine neue Dimension symbolischer Interaktion zwischen der niederländischen Kolonialmacht und der autochtonen Kultur des von ihr beherrschten Territoriums. Auch hier zitierten die Autoren aus einem architektonischen Zeichenvorrat. Als bauliche Collage würdigte die Kolonialmacht mit ihrem Pavillon das Inventar bedeutender Monumentalbauten von Niederländisch-Indien, insbesondere des balinesischen Teils des Archipels.

 

Nach Erlangen der Unabhängigkeit und Gründung des indonesischen Staates kam es zu einer weiteren Entwicklung hybrider Architektur. Diese Entwicklungsstufe fand im modernen, ethnografischen Freilichtmuseum Taman Mini Indonesia Indah ihren Abschluss. Die Anlage des Parks wurde als identitätsbildende Maßnahme inszeniert und gehörte zu den herausragenden Prestigeprojekten der jungen Nation. Nach langer Planungs- und Realisierungsphase wurde der Park 1975 der Öffentlichkeit übergeben. Auf einem weitläufigen Terrain am Stadtrand von Jakarta wurden die territorialen und kulturellen Zusammenhänge der Nation zur Darstellung gebracht. Dies geschah zum einen durch die miniaturisierte, landschaftsarchitektonische Repräsentation des Archipels, zum anderen durch den Nachbau traditioneller, vernakulärer Bauten in vergrößertem Maßstab. Durch die Anlage eines ringförmigen Parcours wurde die Vielzahl lokaler Bautraditionen und Lebenswelten auf symbolische Weise zur nationalen Einheit verbunden.

 

Die Untersuchung hybrider Architekturen, die als temporäre Artefakte im Rahmen dreier bedeutender Ausstellungen entstanden sind, erlaubt es, den architektonischen Beitrag auf dem Weg Indonesiens zur Unabhängigkeit zu verstehen. In Kontrast zu alltäglichen Situationen sind die drei Ausstellungen soziale, kulturelle und bauliche Experimente der Interaktion. In ihnen wird das Verhältnis von Tradition und Moderne; von Kolonialmacht und Kolonie; von Profanem und Monumentalem jeweils neu verhandelt. Die drei Schwerpunkte der vorliegenden Untersuchung bezeichnen Etappen einer dynamischen Interaktion zwischen dem Feld des Politischen und der Architektur. Die eingehende Beobachtung von hybriden baulichen Artefakten, ihrer Zusammensetzung, ihrer Nutzung und ihrer politischen Funktion im Kontext populärer Ausstellungen ermöglicht es, in neuer und nuancierter Weise einen sechzig Jahre andauernden Entwicklungsprozess in den Blick zu nehmen, der von der letzten Phase der Kolonisierung bis zur staatlichen Unabhängigkeit Indonesiens reicht.